Saarbrücker Zeitung, 03.09.2018

„Magische Bilder zur Carmina Burana“

Bliesen. Mehr als 400 Besucher strömten zur Eröffnung des Festivals des Saar-Chorverbandes nach St. Wendel. Auf dem Programm stand Carl Orff.
von Dr. Margarete Stitz

Carmina Burana Bliesen Bild 1

Der Saarländische Chorverband hatte als Ort seines diesjährigen Festivals St. Wendel ausgewählt. Mehr als vierhundert Gesangsfreunde besuchten das Eröffnungskonzert, das durch die Zusammenarbeit der einheimischen Formationen Viel-Harmonie und Chorlores mit dem Kammerchor Landstuhl auch überregionalen Charakter gewann. Im Mittelpunkt stand eine wohlgelungene Aufführung der „Carmina Burana“ unter Leitung von Harald Bleimehl.

Weil der St. Wendeler Saalbau derzeit renoviert wird, war man in die Sport- und Kulturhalle Bliesen ausgewichen, die man mit großen Bildern (Entwurf: Kerstin Könicke) zum Thema „Herz“ und „Schicksalsrad“ dem Thema angepasst hatte: überdies schreibt der Komponist Orff „magische Bilder“ ausdrücklich vor. Auf der breiten Bühne konnte sich der Chor - bei den „Carmina“ über hundert Sängerinnen und Sänger - bestens präsentieren.

Sozusagen als Vorkonzert erklang eine Auswahl aus den Liebeslieder-Walzern, die Johannes Brahms nach osteuropäischen Melodien geschaffen hatte: Freud und Leid, beides tief empfunden (meist aus der männlichen Perspektive), und vom Chor unter Leitung von Heribert Molitor (Ramstein-Miesenbach) dramatisch und kontrastreich nachgestaltet. Bernd Mathias und Ya-Wen Yang begleiteten vierhändig am Flügel.

Carmina Burana Bliesen Bild 2

Die lateinischen und mittelhochdeutschen „Carmina Burana“ (Lieder aus Benediktbeuren) aus dem 11. und 12. Jahrhundert wurden bereits 1802 wiederentdeckt und 1847 neu herausgegeben. Carl Orff vertonte sie 1935/36 mit seiner eigenen Formsprache, für die ein stark perkussiver Klang und eine den Kirchentonarten nahestehende Melodik charakteristisch ist. Zu den beiden Klavieren (den zweiten Flügel hatte die Saarbrücker Musikhochschule zur Verfügung gestellt) gesellten sich nun die Schlagzeuger Norbert Scherer, Achim Seyler und Peter Hoffmann. Sie durften den rein instrumentalen Satz „Uf dem anger“ gebührend auskosten.

Für die vokale Vielfalt sorgten die drei Solisten. Markerschütternde Todesschreie stieß der gebratene Schwan aus (Manuel Horras, Tenor); mit lyrischer Schönheit und souveräner Höhe glänzte die Sopranistin Katharina Becker, während sich dem sensiblen Bassisten Vinzenz Haab zugleich die dankbarsten Aufgaben darboten: die Lebensbeichte eines geilen Genießers, die weinerliche Liebesklage eines Pseudo-Tenors oder die erschütternden Offenbarungen des Abtes von Cucanien.

Gleich zehn Mädchen waren angetreten, um die Allgegenwart von Amors Pfeilen zu artikulieren; dem Männerchor machte eine Litanei aller potentiellen Säufer großes Vergnügen.

Der Gesamtchor bewährte sich in vielfältigen Aufgaben. Erwähnt seien nur das innige „Ah“ als Begrüßung des Frühlings und der Fortissimo-Gruß an die Göttin Venus, dem der Komponist unmittelbar eine Anklage der Fortuna als Wiederaufnahme des Anfangs folgen lässt. Ein besonderes Lob galt dem aufwändig gestalteten Programmheft.



Die Rheinpfalz, 04.09.2018

Grandios!

Drei Chöre verwandeln Orffs „Carmina Burana“ in ein großes Spektakel
von Walter Falk

Carmina Burana SWR Bild 1

Ein seltsames Treffen: Ein Chor aus der Pfalz und zwei Chöre aus dem Saarland sangen am Sonntag gemeinsam im Emmerich-Smola-Saal des SWR-Studios Kaiserslautern. Und dann besangen sie auch noch die derb-sinnlichen Freuden des Fressens, Saufens, Liebens und Spielens. Die Aufführung von Carl Orffs „Carmina Burana“ mit dem Kammerchor Landstuhl, der Vielharmonie und Chorlores (Schulchor des Cusanus-Gymnasiums) aus St. Wendel war schlichtweg grandios.

Welch ein Spektakel! Die ganze Kantate ist mit mittelalterlichen Symbolen durchsetzt, und das beherrschende Thema des Mittelalters vom Rad des Lebens, das immer wiederkehrt und den Menschen Glück und Unglück bringt, bildet den Rahmen der „Carmina“. Einige der mittelalterlichen Verse, die Mönche und fahrende Sänger gedichtet haben, sind humoristisch, einige traurig, einige derb, manche sind christlich, andere heidnisch. Doch aus allen spricht tief empfundene Menschlichkeit.

Schon der Beginn „0 Fortuna velut Luna“, eine vollklingende Ansprache an die Schicksalsgöttin, verursachte pure Gänsehaut. Die 120 Sänger unter Leitung von Heribert Molitor meisterten die extremen Anforderungen an Stimmumfang, Intonationssicherheit und Expressivität mit äußerster Bravour. Sie kosteten das harmonische Raffinement dieser Musik aus und verstanden es, mit glasklarem Ton zu singen. Molitor verlangte ihnen alles ab - und sie blieben ihm nichts schuldig. Die Begleitung bildeten herrliche Klänge der beiden Pianisten Bernd Mathias und Ya-Wen Yang sowie gewaltige Rhythmen der drei Schlagwerker Norbert Scherer, Peter Hoffmann und Achim Seyler.

Nach diesem explosiven Anfang beschleunigte sich der Rhythmus, doch der Chor wurde stiller, und in Begleitung der bestens disponierten Pianisten und Schlagwerker klang das Drehen des Rades weiter. Ein erregter Chorsatz, „Ecce gratum“, der mit einem Glottisschlag des Chors begann, begrüßte den Frühling. Übersprudelnd klang der Wechselgesang zwischen den Tenorstimmen und dem ganzen Chor und endete schließlich mit einem großen Aufschrei des Chors. Makellos wussten die Sängerinnen und Sänger auch die rasantesten Achtelnoten zu intonieren. Die Akzente kamen wie gemeißelt. Becken, Xylophon und Blech trieben die Musik immer wieder atemberaubend voran. Großartig auch der freche „Gesang der Mädchen“, wenn sie fragen, wohin ihr Geliebter verschwunden und die Tenorstimmen antworten, dass er davongeritten sei. Der Rhythmus ihrer Antwort suggerierte dabei das Galoppieren.

Die pulsierende Darstellung des Treibens in einer Taverne („In taberna quando sumus“) imitierte schier lebensecht die charakteristische Geräuschkulisse in einem Wirtshaus. Während sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf denjenigen konzentrierte, der „säuft“, „bibit“, und dieses Wort ständig wiederholt wurde, wuchsen das Klangvolumen und die Satzdichte von Vers zu Vers an und steigerten sich rhythmisch bis zu ausufernder Fröhlichkeit. Bis zur Ekstase steigerten sich die Stimmen sogar in „Veni, veni, veni“, wenn die Frauen die Männer herbeirufen („komm, komm, du sollst kommen“) und die Männer denselben Ruf antworten. Mit Triangeln, kleinen Trommeln und Becken zeichneten die Schlagwerker die wachsende orgiastische Erregung nach. Und die Zuhörer saßen vor Spannung auf der Stuhlkante.

Carmina Burana SWR Bild 2

Großartig auch die Solisten. Mit intensivem Vortrag sang der Bass-Bariton Vinzenz Haab in dem Lied „Omnia sol temperat“ von der heilenden Kraft der Sonne. Vor Wut kochte er in „Es-tuans interius“, wenn er über den Misserfolg seines Lebens in nachtschwarzen Tönen lamentierte und sich dabei von Strophe zu Strophe kraftvoll zupackend und in höhensicherer Intonation steigerte. Die Intensität dieses dramatischen Vortrags stand in schärfstem Kontrast zu dem komischen Klagegesang eines Schwans, der gebraten werden soll („Olim lacus colueram“). Der Tenor Manuel Horras bestach dabei mit silberfarbenem Timbre. Seine schauspielerische Glanzrolle fand Vinzenz Haab in der spöttischen und trunkenen Litanei „Ego sum Abbas“, in der er mit großem Ausdruck verkündete, der Abt von Cucanien zu sein und jeden, den er treffe, durch Wetten um sein Hab und Gut zu bringen.

Mit lyrischer Intensität, mit hauchzartem Ansingen des Tons und schier ewig langem Atem bestach die Sopranistin Katharina Becker in dem Lied „In trutina mentis dubia“. Und mit eloquenter Stimme und aufsteigenden, makellosen Koloraturen sang sie in „Dulcissime“, wie sie sich mit Hingabe zu ihrem Liebsten hingezogen fühlte. Mit einem leuchtenden Klangpanorama endete die Kantate schließlich in „0 Fortuna“, das sich in der letzten Strophe zu einem gewaltigen Crescendo aufbaute. Atemberaubend. Gänsehaut pur.

Schon zu Anfang, mit Brahms' „Liebeslieder Walzer“, op. 52a, wusste der Chor mit einer mustergültigen Interpretation und sorgfältig differenzierter Dynamik zu brillieren. Nicht enden wollender Applaus schließlich für alle Beteiligten. Im Stehen.



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